Archivbestände von Hermann Forkl
1. Bibliothek mit a) Publikationen aus den Disziplinen Ethnologie (Schwerpunkt Subsaharisches Afrika und da wieder Méga-Tchad), Religions- wissenschaft (Schwerpunkt Islam) sowie Vor- und Frühgeschichte (Schwerpunkt Europa); b) Kopien unveröffentlichten Archivmaterials zur Sprache, Geschichte und Kultur der Wandalá aus Kameruner und deutschen Be- ständen.
2. Sammlung von Exzerpten zu Themen wie in 1.
3. Sammlung ethnographischer und geographischer Landkarten mit dem Schwerpunkt Méga-Tchad.
4. Zum großen Teil noch unveröffentlichte Transkriptionen von Feldaufnahmen sowie Feldnotizen mit dem Schwerpunkt der ethnischen Gruppen der Wandalá und Kerdi Murá (Nordkamerun).
5. Photothek mit den Schwerpunkten Ethnographie von Nordkamerun (Wandalá und Kerdi Murá), Nordnigeria (Kanuri und Hausa), Ägypten (Altertum, Kopten und Muslime) und Südost-Europa (u.a. Bos- nien).
6. Sammlung vor Ort selbst aufgenom- mener und gezeichneter Pläne von archäo- logischen Monumenten im Gebiet der Wandalá (Nordkamerun).
7. Sammlung von Herbarien mit Nutzpflan- zen der Wandalá (Nordkamerun).
8. Ethnographische Sammlung materieller Kultur und Kunst mit Schwerpunkt Subsaharisches Afrika.
9. Sammlung von Tonträgern mit Schwerpunkt traditionelle und moderne Musik aus dem Sub- saharischen Afrika (nahezu alle Länder).
Das in Kano/ Nordnigeria gedruckte Büchlein mit Hand- lungsanweisungen zur islamischen Magie ist weit über die Staaten Niger, Nigeria und Kamerun verbreitet. Auch bei den Wandalá, die es haatimi ibram nennen, gilt es als be- sonders wirksam. Koranverse, andere Texte und Figuren sollen durch Abschriften und deren Aktivierung (z.B. unter Hinzusetzung des Namens einer gewünschten Person und Vergraben der Abschrift in einem Abfallhaufen) einen Dä- mon (Dschinn) dazu bringen, den Wunsch des Nutzers zu erfüllen. Im vorliegenden Fall geht es um die Herstellung von Kontakten zu anderen Personen, insbesondere zu po- litischen Machthabern. Die oft in Tiergestalt auftretenden Dämonen sind hier als geschwänzter Frosch und als Vogel dargestellt. Dschinn halten sich übrigens u.a. gern in Ab- fallhaufen auf.
Damals wurde Nubien ("Kusch"), dessen Bevölke- rung durch die archäologische "C-Gruppe" erfassbar ist, von Ägypten aus über einen Vizekönig be- herrscht. Die von dort an den Pharao entrichteten Tribute umfassten auch Opferstiere wie den hier ab- gebildeten, aus dessen Kopf der Oberkörper eines negriden Menschen herauswächst, dessen rechter Arm nach oben und dessen linker nach unten ge- richtet ist. Diese Abbildung erinnert deutlich an die symbolische Gleichsetzung "menschliche Arme - Rinderhörner", wie sie bei den nilotischsprachigen Völkern der Nuer und Dinka des Südsudan für das 20. Jahrhundert belegt sind: Kurz bevor der Lieb- lingsochse eines jungen Nuer kastriert wird, schneidet er jenem die Hörner so ab, dass sie in einer besonders gewünschten Form wieder nachwachsen. Diese Horn- deformation vergleichen die Nuer mit den Initiations-narben beim Menschen, so dass wir hier also auch eine Art Rinderinitiation vor uns haben. Oft halten Nuer und Dinka ihre Arme in der Form der Hörner ihres Lieblingsochsen, d.h. das l i n k e defor- mierte nach unten abgewinkelt. Dem enstspricht auch, dass sich der junge Nuer den l i n k e n Arm mit eng anliegenden Metallringen schmückt, so dass er ihn kaum bewegen kann. Alle diese Elemente verweisen auf die kulturelle Wertvorstellung des cattle complex, nach der das Rind als d e r sozio-religiöse Partner des Menschen gilt (z.B. zu dessen Auslösung als Opfertier oder als Auslösung für die an eine andere Abstammungsgruppe verheiratete Frau). Literatur: E.E. Evans-Pritchard, The Nuer. Description of the Modes of Livelihood and Political Institutions of a Nilotic People. Oxford 1940, 3. Aufl. 1950; Ders., The Sacrificial Role of Cattle among the Nuer. Africa 23, 1953, S. 181- 98; Ders., Nuer Religion. Oxford 1956, 4. Aufl. 1970; Godfrey Lienhard, Divinity and Experience. The Religion of the Dinka. Oxford 1961; G.W. Titherington, The Raik Dinka of the Bahr el-Ghazal Province. Sudan Notes and Records 10, 1927, S. 159-209.
Der Tempel der Hathor, der ägyptischen Göttin der Liebe, geht auf eine Gründung des 4. Jt. v. Chr. zurück. Zusätzlich zu der Hauptanlage wurden später noch zwei "Geburtshäuser" errichtet, in denen man die Geburt der göttlichen Kinder Hathors fei- erte; das ptolemäische unter Kö- nig Nektanebos (380- 43) und das römische unter Kaiser Nero (54-68).
Nachdem die altägyptische Religion untergegangen war, errichtete man nicht umsonst wohl gerade zwischen den beiden Geburtshäusern eine koptische Kirche, um in Glau- bensdingen sowohl Abgrenzung als auch Kontinuität zu demonstrieren. Die heute noch sichtbare Kirchenruine geht auf einen Bau des 5. Jh. zurück. Bei den Darstellungen in den Seitenkapellen stehen das Kreuz im Kreis für die Herrschaft Christi über den Erdkreis und die Taube für den in der Lehre der Ostkirchen besonders wichtigen Hl. Geist, während die beiden Darstellungen der Pilgermuschel an die Hl. Maria erinnern. So konnte die Verehrung der Gottes- mutter auch nach dem Verschwinden des Kultes der Hathor fortgesetzt werden.
Der heute noch stehende Bau der Kirche al-Mu`allaqa in der koptischen Altstadt von Kairo geht auf das 9. Jh. zurück. Al-Mu`allaqa bedeutet "die Hängende", da ihr Hauptschiff oberhalb des Torwegs der ehemaligen römischen Festung Babylon eingehängt ist. 1039 wurde sie der Sitz des vorher in Alexandria residierenden koptischen Papstes. Das hölzer- ne Fenstergitter ist im gleichen Stil wie entsprechende Stücke im islamischen Ägypten durchbrochen, nur hier eben mit dem Kreuzmotiv versehen.
Die gerne von Herrschern gestifteten Schulmoscheen gehörten jeweils zu einer islamisch-theologischen Hochschule (madrasa). Im Fall der Schulmoschee des Sultans Barqûq war zusätzlich unter der Kuppel das Mausoleum der Familienmit- glieder dieses Herrschers untergebracht.
1346 von dem mamelukischen Emir Aqsonqur errichtet und 1653 durch ein Erdbeben zerstört, baute der osmanische Statthalter Ibrâhîm Âgâ die Moschee im gleichen Jahr wieder auf und stattete sie mit blaugrün/ weißen persischen Fayencekacheln aus, deren Dekor dem von Bildteppichen nachem- pfunden ist. Beide genannten Erbauer liegen in ihr begraben.
Die Bevölkerung vor- und frühgeschichtlicher Kulturen rund um das Mittelmeer bestattete ihre Toten immer wieder ein- mal in großen Krügen aus gebranntem Ton: nicht nur auf dem minoischen Kreta, sondern auch in Spanien (3. Jt.), Kleinasien, dem prädynastischen Ägypten (2. Hälfte 4. Jt.) und im Maghreb (von Nordmarokko bis Nordlibyen im 3. Jt. und bei den bis ins 7. Jh. n. Chr. in Südlibyen ansässigen berberischen Garamanten). Südlich der Sahara findet sich die Topfbestattung in den kulturgeographischen Regionen des Westsudan (Rep. Mali, Burkina Faso, Rep. Niger, Nordwest-Nigeria) und des Zentralsudan (Nordost-Nigeria, Nordkamerun, Südtschad, westliche Zentralafrikanische Rep.), doch lässt sie sich hier, vermutlich mangels ausreichender archäologischer Daten, immer nur einige Jahrhunderte zurückverfolgen; so in der Region des Zentralsudan nur bis ins 16. Jh. Frobenius' Hypothese eines historischen Zusammenhangs zwischen den subsaharischen und den mediterranen Verbreitungsgebieten ist ernst zu nehmen, im Einzelnen jedoch, heutigen metho-dischen Ansprüchen genügend, nicht zu belegen. Überhaupt keine ernst zu nehmenden Belege finden sich für die Sinndeutung der Topfbestattung als Symbol für den Uterus, aus dem der Mensch geboren wird und in den er wieder zurückkehren solle. Die einzige überlieferte Sinn-deutung durch Angehörige einer Gesellschaft selbst, in der bis vor kurzem noch in Krügen bestattet wurde, kennen wir von den Kotoko Nordkameruns. Demnach setzt sich der Mensch aus insgesamt acht Elementen zusammen, die nach dem Tod getrennte Wege beschreiten. Der Körper löst sich auf, und das "Doppel" (eine weibliche Kraft) geht in eine Terracottaplastik ein. Dagegen steigt der Hauch in den untersten der sieben Himmel auf, während die restlichen fünf Elemente (männliche Kraft, immaterielles Herz, Schatten, Charakter und "Bronze") in die erste der sieben unteren Erden hinab- steigen. Auf diese Weise durchwandern die sechs genannten Elemente alle sieben Himmel bzw. alle sieben Erden, wo sie jeweils sieben Jahre lang verweilen, bis sie nach insgesamt 49 Jahren den obersten Himmel bzw. das Urwasser erreicht haben, um sich darauf in einem neu zu gebärenden Menschen zu reinkarnieren.
Die jeweils aus zwei mit einander zugekehrter Öffnung übereinander gestülpten Bestattungsgefäße der Kotoko nun gleichen einer quer in der Mitte aufgeschnittenen Zitrone. Der untere Krug, in dem die Leiche hockt, steht für die sieben Erden, der ihn bedeckende obere jedoch für die sieben Himmel. So ist jede Topfbestattung ein Gleichnis für einen - hier islamisch überformten - Aufbau der Welt und die Wiedergeburt. Vermutlich liegen der in anderen Regionen verbreiteten Sitte der Topfbestattung von derjenigen der Kotoko abweichenden Sinndeutungen zugrunde. Literatur: Leo Frobenius, Monumenta Africana. Der Geist eines Erdteils. Weimar 1939; Jean-Paul Lebeuf, Personne et système du monde chez les Kotoko. In: La notion de personne en Afrique Noire. Paris 11-17 octobre 1971. Paris 1973, S. 373-86; Emile Massoulard, Préhistoire et Protohistoire d'Egypte. Paris 1949.
Der nur etwa 30 cm betragende Durchmesser der Öffnung des Kruges verweist auf ein Kindergrab. Der einst auf ihn gesetzte obere Krug dürfte durch die Landwirtschaft zerstört worden sein, denn das Grab befindet sich auf einem Feld. Topfbestattungen werden im Einzugsbereich des Tschadsees gerne der alten Volksgruppe der Sao zugeschrieben, was nur bedingt richtig ist, da die- se von Haus aus ihre Toten gar nicht auf jene Wei- se bestatteten. Vielmehr führte erst nach 1568/69 eine von den Ufern des mittleren Schari in das weiter westlich gelegene Gebiet der heutigen Ko- toko eingewanderte Volksgruppe der "Masa" die- sen Brauch bei den Sao ein, und aus der Ver- schmelzung der Sao mit den "Masa" entstand mit der Zeit die neue ethnische Gruppe der Kotoko. Nicht lange nach der Einwanderung der "Masa" floh eine als Maya bekannte Traditionskompanie aus dem Gebiet des heutigen Kotoko-Königrei- ches Mandagué vor der Islamisierung nach Süden, gründete hier ein kleines Reich mit der Hauptstadt Dela und führte die Topfbestattung ein. Noch in der ersten Hälfte des 17. Jh. wurden die Maya vom Reich Wándala unterworfen und größtenteils für immer aus Dela vertrieben. Ob die wenigen in Dela verbliebenen und später wie die Wandalá zum Islam übergetretenen Maya ihre Toten da- nach auch noch in Krügen bestatteten, ist eher zu bezweifeln. Literatur: Hermann Forkl, Die Be- ziehungen der zentralsudanischen Reiche Bornu, Mandara und Bagirmi sowie der Kotoko-Staaten zu ihren südlichen Nachbarn unter besonderer Berücksichtigung des Sao-Problems. München 1983; Ders., Der Einfluß Bornus, Mandaras, Bagirmis, der Kotoko-Staaten und der Jukun-Konföderation auf die Kulturentwicklung ihrer Nachbarn südlich des Tschadsees. München 1985; Hermann Forkl/ Reinhard Weipert (Mitarb.), Politik zwischen den Zeilen. Arabische Handschriften der Wandalá in Nordkamerun. Deutsch-arabische Texte. Übersetzt und herausgegeben, Kommentar und Chronologie. Berlin 1995; M. Rodinson/ J.-P. Lebeuf, L'origine et les souverains du Mandara. Bulletin de l'Institut Francais d'Afrique Noire, Serie B, 18, 1956, S. 227-55.
Die früher allgemein verbreitete Bezeichnung dieser Grabsteine als "Bogomilensteine" ist in der seriösen zeitgenössischen Wissenschaft nicht mehr üblich, sondern findet sich heute nur noch in Esoterikerkreisen und Pro- grammen von Reiseveranstaltern, die mit der Vorspiegelung des angeblich Geheimnisvollen Touristen in das nach den Kriegsverwüstungen der 1990er Jahre neu aufzubauende Bosnien locken wollen. Vielmehr sind diese Steindenkmäler dem Milieu der christlichen Oberschicht des mittelal- terlichen Bosnien zuzuschreiben.
Ob sie in Einzelfällen auch auf Gräbern von Bogomi- len standen, den Anhän- gern einer sich in Bosnien vom 12. bis ins 19. Jh. hin- ein haltenden neumani- chäischen Sekte, wissen wir nicht. Gelegentlich kann diese Möglichkeit sogar ausgeschlossen wer- den, da einige jener Grab- steine mit dem christlichen Kreuz geschmückt sind. Ähnliches gilt für die hier abgebildete Szene eines Trinkgelages, da den Bo- gomilen der Wein verbo- ten war.
Archivbestände von Monika Firla (in Auswahl)
1. Bibliothek mit a) Publikationen u.a. zur (a/1) Geschich- te der AfrikanerInnen und "TürkInnen" sowie ihrer Nachkommen im deutsch- sprachigen Raum und zu Personen aus diesem Gebiet im Osmanischen Reich sowie zur (a/2) Afrikanischen und Türkischen Literatur v.a. in deutscher Übersetzung; b) Kopien unveröffentlichten Archivma- terials zu 1a/1.
2. Personendatei zu AfrikanerInnen und "TürkInnen" sowie ihren Nachkommen im deutschsprachigen Raum mit Schwer- punkt Württemberg.
3. Photothek zu 1a/1 und 2.
4. Spezialsammlungen u.a. zu - Christian Real, - Carl von Commani, - Anton Wilhelm Amo, - Angelo, Magdalena und Josepha Soliman, - Eduard von Feuchtersleben und Familie, - Henriette Alexander, - Hermann Kessern, - Dualla Misipo, - Othello als Bühnenfigur und Motiv, - "TürkInnen" in Württemberg.
5. Sammlung u.a. von Filmen aus dem Subsaharischen Afrika.
Vor allem adlige Militärs und Diplomaten lernten in den Türkenkriegen und im diplomatischen Dienst Soldaten, Offiziere und hohe Beamte am osmanischen Sultanshof kennen, die schwarz waren. Insofern erhielten sie ein ganz anderes Bild von schwarzen Menschen als beispielsweise Naturwissenschaftler, die oftmals bizzare Fiktionen als Fakten ausgaben. Der Kizlar Agassi (europäische Schreibweise) bzw. Chef-Eunuch des Harems am osmanischen Sultanshof war z.B. traditionellerweise schwarz, in der Verwaltungshierar- chie dem Großvezir vergleichbar und außerordentlich einflussreich. Schikaneder hat in seinem Lib- retto zu Mozarts "Zauberflöte" dagegen mit der Figur des "Monostatos" eine ganz abwegige Karika- tur geschaffen. Schwarze Personen im Osmanischen Reich waren Sklaven oder Freigelassene bzw. deren Nachkommen, doch ein gesellschaftlicher Aufstieg stand ihnen genauso offen wie Sklaven oder Freigelassenen in der Antike. Dies wird z.B. klar durch Jane Hathaways Untersuchung "Beshir Agha. Chief Eunuch of the Ottoman Imperial Harem", Oxford/ UK 2005. Den Besuch des höchsten schwarzen osmanischen Beamten vor Wien erlebte Georg Christoph von Kunitz 1683 bei der Belagerung der Kaiserstadt mit. Kunitz war Gefangener von Kara Mustapha und befand sich deshalb in dessen Lager. Am 26. Juli notierte Kunitz dann in sein ein Jahr später ver- öffentlichtes Tagebuch "Diarium Welches Der am Türckischen Hoff, und Hernach beym Groß=Vezier in der Wienerischen Belägerung gewester Kayserl. Resident (...) beschrieben": "Vor etlichen Tagen ist ein Mohr dato Ali Aga vom Sultan mit einem Zobeln=Beltz untern Goldstuck gefüttert / einem mit Edelgestein versetzten Raigerbuschen / und mit dergleichen Edelgesteinen reich=ausgezierten Säbel zum Groß Vezier gesändet allhier Solenniter einbegleitet und empfangen worden / der Groß Vezier hat solgen 14. Tag lang hier behalten / in meinung Er Aga solle von seines Veziers progressen Augenschein nehmen / und dem Groß Sultan mündliche Relation bringen können (...)." Ali Aga war der Hofschatzmeister und Gesellschafter von Sultan Mehmet IV., in dessen Auf- trag er die Inspektionsreise vornahm; s. hierzu Walter Sturminger (Hrsg.), Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1968, S. 137. Leider ist der Besuch des schwarzen Spitzenbeam- ten Ali Aga 1683 vor Wien in der Forschung nahezu unbekannt geblieben.
Mehemed Haireddin gehört zu den "Türken", die beruflich in den deutsch- sprachigen Raum gelangten. Er war 1887 als Leutnant und Mitglied der ersten von zwei osmanischen Gewehrabnahmekom- missionen nach Oberndorf a.N. gekom- men. Diese überprüfte Hunderttausende von insgesamt einer Million Gewehren, die die osmanische Regierung bei der örtlichen Waffenfabrik Mauser bestellt hatte. Beide Seiten verstanden sich inter- essensbedingt prächtig. Haireddin kehrte nach Beendigung seiner militärischen Karriere aus Konstantinopel zurück und übersiedelte 1897 nach Stuttgart, wo er eine Einheimische heiratete. Er arbeitete als Kaufmann und Dolmetscher und gra- tulierte dem Waffenfabrikanen Paul von Mauser (inzwischen für seine Waffenpro- duktion geadelt) 1912 zu dessen 75. Ge- burtstag. Haireddin lebte bis zu seinem Tod 1930 in Stuttgart. Das Haus, in dem er in der Urbanstr. 96 wohnte, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Als Mörike 1823 in Tübingen Theologie studierte, schrieb er das Gedicht "Tag und Nacht" über einen Mohrenknaben, der offenbar bei einem Apotheker arbeitete. Denn er bringt in himmelblauer Schürze / Manch wundersame Gabe, / Kühlen Duft und süße Würze. Dies sind Waren, die in jener Zeit Apotheken führten. Mörike dürfte in seinem Gedicht - wie so oft - eine ganz reale Person vor Augen gehabt haben, die vielleicht ein freigekaufter ehemaliger Sklave oder ein Nachkomme aus diesem Umfeld war. Ohne dies zu thematisieren, stellt der Dichter aber den sensiblen, Harfe spie- lenden schwarzen Jungen in den Vordergrund, der seiner verlorenen Liebe nachtrauert, die ihn ihrerseits nicht vergessen kann. - Offensichtlich wurden die beiden von der Mutter auseinander- gebracht, deren Motive dann noch zu ergründen wären...
Eduard von Feuchtersleben (1798-1857) war der Enkel des berühmten Afrowie- ners Angelo Soliman, dem wir auf die- ser Homepage auch noch begegnen wer- den. Eine Monographie über den Erste- ren ist im Rahmen unserer Geschichts- werkstatt in Vorbereitung. Der Sohn von Josepha (geb. Soliman) und Ernst sen. von Feuchtersleben arbeitete als Sudhüttenmeister und verfasste in jün- geren Jahren literarische Texte im ro- mantischen Stil. Er sah gut aus, litt aber an einer Skoliose, weshalb er wohl kei- ne Frau fürs Leben fand.
Die österreichische, sozialistisch orientierte Literaturwissenschaftlerin Anna Nußbaum (1887-1931), die allzu früh verstarb, verfasste seit 1922 Artikel über Literatur und Musik schwarzer AutorInnen und KünstlerInnen, von denen der über afroamerikanische Frauen in Übersetzung auch in den USA erschien; s. hierzu Konrad Nowakowski, Krenek, Baker - und Briggs? Der Aufstand gegen die "Vernegerung Wiens" Anfang 1928. In: Anklaenge 2011/2012. Jazz Unlimited. Beiträge zur Jazz-Rezeption in Österreich, S. 158-255, hier S. 191. Obwohl Nußbaum in neueren Publikationen gelegentlich erwähnt wird, spielt eine angemessene Würdi- gung ihrer Pionierrolle in der heutigen Wissen- schaft leider keine Rolle. Ihr interkultureller Ansatz wurde zunächst von wenigen Anderen weitergeführt, erhielt durch den Nationalsozialis- mus jedoch den Todesstoß.
Anna Nußbaum gab 1929 in Wien die zu ihrer Zeit vielbeachtete Anthologie "Afrika singt. Eine Ausle- se neuer afro-amerikani- scher Lyrik" heraus. Diese enthielt selbstverständlich auch Übersetzungen von Gedichten schwarzer Schriftstellerinnen. Zu diesen gehörten Georgia Douglas Johnson (1880- 1966), Angelina Weld Grimké (1880-1958), Gwendolyn Bennett (1902-81), Jessie Fauset (1882-1961) und Helene Johnson (1906-95).
Der afroamerikanische Chemiker und Bürgerrechtler Percy L. Julian (1899-1975) hatte 1931 in Wien promoviert und Anna Nußbaum offenkundig gekannt. Zwei Jahre nach ihrem Tod schrieb er in "The Crisis" über ihre Anthologie "Afrika singt" und deren Wirkung. Am Titel seines Artikels sieht man, dass der später auch noch von Martin Luther King verwendete Begriff "negro" selbst von afroameri- kanischen Bürgerrechtlern eingesetzt wurde. Heute ist er jedoch genauso wie "Neger" verpönt - außer bei bestimmten schwarzen KünstlerInnen (z.B. aus der Rap-Szene) und AutorInnen (z.B. Calixte Beyala, Yawovi E. Edeh, Marius Jung), die sich seiner bewusst bedienen.